Editorial der PeSt 9 (1. Fassung)

Wie es bei einer Schülerzeitung so ist, musste irgendwann auch einmal das Thema Liebe ganz groß ins Heft. Und ich schrieb das Editorial, das mir in dem Moment dann doch etwas zu nahe ging. So bat ich Anne, ihn zu überarbeiten

Editorial der PeSt 9

Ach meine Schäfchen,

Was hat die Liebe nicht alles getan? Sie hat den armen Romeo und die arme Julia in den Tod gestürzt, sie hat den armen Neo in der Matrix wieder aus dem Tod geholt, sie bringt kreischende Teenies dazu, solche Musik zu kaufen, die ihnen einige Jahre später höchst peinlich sein wird. Sie ist der stets anwesende Handlungsfaden für Daily Soaps, Daily Talkshows und Daily Gerichtsshows und für Daily Sat.1 überhaupt. „Powered by emotions” scheint überhaupt unser ganzes Leben zu sein. Jeder Tag ist somit durchzogen von einem klebrigen Pfad aus Kitsch, bestreut mit Süßholzraspeln, am Wegesrande stehen grinsende Honigkuchenpferde und manchmal auch Jörg Pilawa, aber eigentlich nur, weil der ja überall ist. Irgendwie so wie Schlaraffenland, nur noch schöner, weil ja noch die ganzen tollen emotions dabei sind. Super einfach, nicht?

Nein, das ist nur das Bild, das uns die Medien seit den antiken Liebesdichtern einhämmern und das nur aus einem einzigen Grund: Niemand hat auch nur ansatzweise eine Ahnung, was L’Amour, Love, die Liebe ist. Und niemand möchte diese Unfähigkeit zugeben. Man weiß nur, wenn sie da: „Hier, in meinem Herzen *schluchz*” Womit wir beim Thema wären: Biologisch gesehen ist Liebe doch nur ein chemischer Prozess, der wie Schokolade zu Glücklichkeit führt. Nur mit weniger Karies. Aber auch irgendwie beunruhigend: Wissen die Bio-Lehrer mehr über meine Gefühlswelt als ich selbst? Hoffentlich nicht.

Geht das „Gefühl” der „Liebe” aber auch tatsächlich über bloßen Fortpflanzungstrieb hinaus? Vielleicht lediglich Freundschaft, bei der man mal mehr anfassen darf? So zum gegenseitigen Selbstzweck? Einfach, um nicht ständig allein zu sein und deshalb eine Person an sich binden möchte? Macht man sich also gar etwas vor, um dieses Ziel zu erreichen? Belügt man sich selbst, um nicht die andere Person zu belügen? Welchen Stellenwert hat denn die wahre unbeabsichtigte Liebe, wenn Flirten zum Modesport geworden ist? Hat das Sammeln von Telefonnummern und Zwei-Monats-Beziehungen denn mehr Zweck als Selbstbestätigung? Verliert sich dabei nicht mindestens ein Mensch, eine andere Person, der das vielleicht tatsächlich etwas bedeutet hat?

Es scheint, dass man in einer Konsumgesellschaft auch Liebe konsumieren möchte. Möglichst am Automaten an der Ecke erhältlich und ohne Nebenwirkungen. Und es soll nicht irgendein Mittelchen sein, dass einem Liebe vorgaukelt, nein, es soll bei jeder Einnahme richtige Liebe sein, mit den ganzen chemischen Prozessen, dem ganzen Kitsch und dem ganzen anderen unerklärlichen Zeug.

Ach ja — und es soll natürlich jedes Mal die einzig wahre Liebe sein.

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