It’s a Genie in a Bootleg, Baby
Nachdem ich im April/Mai 2002 die wunderbare Welt des Bastard Pops entdeckt hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann ich etwas dazu schreiben würde. Das schwierigste war dann schließlich, wie man am besten über Musik schreibt, die höchstwahrscheinlich kein Leser kennt. Wahrscheinlich werde ich kein Musikredakteur… ;)
Das im Artikel erwähnte intro-inspection sollte ich später noch als Grundlage für ein Schnitt-Projekt benutzen.
It’s a Genie in a Bootleg, Baby
Vernehmen Sie beim Lesen bitte folgende Klänge: Man hört den unheimlichen Beginn des Ghostbuster-Themas, um gleich darauf völlig verwundert den noch unheimlicheren Michael Jackson zu vernehmen. Ghostbusters sind weiterhin zu hören. Der selbsternannte King of Pop trällert unbeirrt weiter. Man beginnt sich langsam zu fragen, ob da nicht irgendwann ein paar Frauen singen sollten. Der Refrain schließlich erwähnt keinen einzigen Ghostbuster, stattdessen heißt es immer wieder „You know I’m Bad“. Man hat es ja gewusst: Die meiste Musik der 80er klingt ziemlich gleichartig. Aber auch gleichzeitig?
Beim nächsten Titel kommt man dann kaum mehr hinterher mit den Titelzugehörigkeiten. Zuerst wiederholt sich das beruhigende „Mmmmhmmm“ aus Rivers Of Babylon, über das mehrfach der einleitende Gitarrengriff von Wild Thing niedersingt. Das sanfte Klavier aus Lionel Richies Hello hält den Takt, und dann grüßen The Beatles Hey Jude, bevor man zu einem Mix aus I Get Around (The Beach Boys), Tainted Love (Soft Cell), Bohemian Rhapsody (Queen) und Hound Dog (Elvis) übergeht. Auch nach dieser Minute vermischt osymsyo nahezu mystisch die Anfänge allseits bekannter Titel in seiner intro-inspection. Insgesamt 12 Minuten. Insgesamt 101 Titel. Insgesamt ein Song.
„Bootlegs“, „Mash-ups“ oder „Bastard Pop“ werden Musikstücke genannt, wenn sie mindestens zwei vorhandene Titel vereinen und das Ergebnis wie ein völlig eigenständiger Song klingt. Die Bootlegger bedienen sich dabei am liebsten bei möglichst unterschiedlichen Stilen. So singt Missy Elliott Get Ur Freak On zu Nirvanas Smells Like Teen Spirit (das dann zu einem Smells Like Missy Elliott mutiert), The Power Of Love spielt zu Limp Bizkit’s Rollin’, die Jackson Five singen I Want You Back zu dem Titel, der früher einmal Girls and Boys von Blur war (und jetzt I Want Boys ist). Außerdem finden sich Bootlegs zu Fernsehmelodien. Und Bootlegs werden inzwischen ebenfalls in Bootlegs verarbeitet.
Daneben sind All-In-One-Titel á la intro-inspection recht rar; ein ebenbürtiges Stück ist 100 reasons to be sad, bei dem die Titeldichte mit 100 Songs in 15 Minuten allerdings nicht ganz so hoch und geschickt ist. Inzwischen gibt es auch eine 25minütige Video-Version, die neben der Musik einen Mix der zugehörigen Musikvideos bietet.
Dieses Musikgenre ist dabei gar nicht so neu, wie die in den letzten Monaten gewachsene Popularität vermuten lässt. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden populäre Titel zu einem größeren Ganzen vermischt und die Verwendung populärer Titel gilt auch als Grundgedanke des Techno. Doch erst unsere Zeit bot die nötigen Vorrausetzungen für die perfekte Verschmelzung der Musik, stellt doch die Beschaffung von Musiktiteln im Internet-Zeitalter keine Probleme dar. Und mit den relativ preiswerten Programmen, die die Geschwindigkeiten der Musikstücke angleichen können, ist es auch für den Hobby-Mixer möglich, sich auszutoben.
Womit wieder einmal ein altbekanntes Problem auftaucht: Die Musikindustrie kann es verständlicherweise nicht tolerieren, wenn die Aufnahmen ihrer Künstler, darunter eigentlich unveröffentlichte Acapella-Aufnahmen, ungefragt benutzt werden. Doch überraschenderweise durften Alben legal veröffentlicht werden und einzelne Titel haben es auf Spitzenpositionen in den Charts gebracht. Man munkelt sogar, dass Plattenfirmen ihre eigenen Bootlegs produzieren werden.
Doch während Akzeptanz der Musikindustrie und Popularität in der Bevölkerung zunehmen, nehmen Bootlegger Abstand: Viele möchten keine Bootlegs mehr erstellen und haben bereits den Tod des Genres verkündet. Stattdessen werkeln sie an ihrer neuen Underground-Bewegung: Neo-Pop. Hierbei wird ein einzelner Titel bearbeitet, hauptsächlich mit Geschwindigkeits- und Tonhöhenveränderungen. Allerdings klingt das Ergebnis lediglich wie eine ausgeleierte Kassette bzw. wie eine Schallplatte mit Sprung. Kein Vergleich zu dem Erlebnis, drei Musikstücke gleichzeitig zu hören, ohne sie auseinander halten zu können. Oder waren es vier?