Kriegsdienstverweigerung
Schon seltsam, womit man sich in der 13. Klasse so die Zeit vertreiben muss. Nicht genug, dass ich zweimal meinen Körper der Bundeswehr zwecks Begutachtung zur Verfügung stellen musste — nein, ich musste auch noch sachlich und fundiert meinen Herzenswunsch zur Verweigerung begründen. Komisches Land, in dem der Wunsch, eine Waffe in der Hand zu halten, nicht begründet werden muss.
Da für mich als Ausgemustertern die Verweigerung sowieso ohne Bestand war, habe ich nie erfahren, wie das aufgenommen wurde. Hier also noch einmal zur allgemeinen Bereicherung. Wegtreten!
Kriegsdienstverweigerung
Die Darlegung meiner Beweggründe, den Dienst an der Waffe zu verweigern
Am 04. März 2003 stellte ich einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Darin heißt es: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst an der Waffe gezwungen werden.“ Kaum eine ethische Grundhaltung ist bei mir länger und stärker ausgebildet als meine Ablehnung von Gewalt und Krieg im allgemeinen und Kriegsdienst im speziellen, wie ich im Folgenden zeigen werde.
Bereits seit frühester Kindheit genoss ich eine ausgesprochen pazifistische Erziehung. Eine wichtige Rolle kommt dabei meiner Zeit im evangelischen Kindergarten zu. Uns Kindern wurde dabei vermittelt, dass man keine Gewalt benötigt, um Konflikte zu lösen. Eine Einstellung, die Entscheidungen in meinem Leben mitbestimmen sollte und durch die Behandlung ethischer und moralischer Fragestellungen im Religionsunterricht meines Gymnasiums verstärkt wurde. So nahm ich Tugenden wie Gewissensentscheidung, Nächstenliebe und die Achtung des Lebens in mir auf. Ein Mal verstieß ich gegen diese Regeln, die ich mir selbst gestellt hatte: Im Alter von zehn Jahren verletzte ich meinen besten Freund in einem Streit. Dies scheint gerade durch den zurückliegenden Zeitraum kaum mehr Bedeutung zu besitzen und es war auch keine schwerwiegende Verletzung. Doch plagten mich noch lange Zeit Schuldgefühle, so dass Gewaltlosigkeit und friedliche Konfliktlösung zu hohen moralischen Werten in meinem Leben wurden. Später fühlte ich mich in dieser Einstellung bestätigt, da ich in den verschiedenen Schulen, die ich besuchte, durch meine aggressionslose Verhaltensweise mindestens respektiert wurde und von niemandem als „Feind“ betrachtet wurde. Stattdessen brachte mir diese Verhaltensweise langjährige Freundschaften.
Den größten Einfluss auf meine Entscheidung, den Dienst an der Waffe zu verweigern, hatte und hat natürlich meine Familie. Die Erinnerungen meines Großvaters an seine Zeit im zweiten Weltkrieg sind nur dann positiv gewesen, wenn es nicht um seine Taten als Soldat ging. Darüber hat er sehr selten gesprochen, und es schien, als hingen diese Erinnerungen wie ein dunkler Schatten über sein Leben. Zusammen mit Dokumentationen über diese Zeit verstand und verstehe ich den Dienst an Waffen stets als menschenverachtend, da die Psychologie des einzelnen handelnden Menschen offensichtlich nachhaltig verändert wird. Ich bin deshalb keinesfalls bereit, eine Waffe in die Hand zu nehmen.
Auch meine Eltern lenkten durch ihre Erziehung meinen Entschluss zur Kriegsdienstverweigerung. Neben einer friedlichen Aufziehung, die vollständig ohne Gewalt vonstatten ging, vermittelten sie mir die Sinnlosigkeit von Waffennutzung und Krieg. Sie brachten mich dazu, bei verschiedenen Spielfilmen nachzudenken, ob die Anwendung von Gewalt in diesem oder jenem Fall wirklich nötig war. Immer öfter lautete die Antwort: „Nein.“ Stattdessen verfolge ich Antikriegsfilme und wie sie die sogenannte „Perversität des Krieges“ darstellen. Berichte von Krisen- und Kriegsgebieten wie beispielsweise im Nahen Osten oder im Irak lassen uns immer nur kopfschüttelnd aufgrund des unaufhaltbar scheinenden Automatismusses von Gewalt vor dem Fernsehgerät sitzen.
Das zeigt sich erneut bei der Abfassung dieser Begründung: Die Vereinigten Staaten von Amerika bombardieren den Irak, und das Rote Kreuz meldet bereits nach einigen Stunden den ersten Toten, einen Jordanier, einen unbeteiligten Zivilisten. Die Bombardierungen erfolgten ohne entsprechende UN-Resolution und die ablehnenden Stimmen aus China, Russland, Frankreich und vor allem unserer Bundesrepublik sind eindeutig. Völkerrecht wurde verletzt. Saddam Hussein ist ohne Zweifel ein brutaler Herrscher, der vor der Tötung seiner eigenen Bevölkerung nicht zurückschreckt. Dementsprechend sollte nach friedlichen Wegen zu einer dauerhaften Verbesserung der Lebensbedingungen des irakischen Volkes gesucht werden, die im Rahmen und unter Legitimation der Vereinten Nationen umgesetzt werden. Ich sehe mich als 19-jähriger Schüler verständlicherweise nicht in der Lage, konstruktive Vorschläge zu bringen; diese Aufgabe sehe ich bei Politikern, die nach einem entsprechenden Studium zu einer wirkungsvollen und vor allem friedlichen Lösung dieser Angelegenheit in der Lage sein sollten.
Schließlich sollte es in unserer zivilisierten Welt nicht nur möglich, sondern auch zwingend nötig zu sein, Konflikte auf politischer Ebene diplomatisch zu lösen. In meinen Augen ist der Einsatz militärischer Mittel nicht das letzte Mittel der Politik, sondern ein Zeichen dafür, dass sie nicht funktioniert. Denn wie sonst kann man erklären, dass die eigentlich garantierte Würde des Menschen angetastet wird? Und dass der Tod von Soldaten anscheinend Verfehlungen bei der Diplomatie wettmachen soll?
Waffen sind seit Beginn der Menschheit ein Teil ihres Lebens: Zu Beginn ihres Daseins war es die einzige Möglichkeit zur Ernährung und zur Verteidigung gegen wilde Tiere und auch feindliche Stämme. Auch in den folgenden Jahrtausenden behielt die Menschheit trotz aller Fortschritte in jedem Lebensbereich die gegenseitige Tötung als legitimes Mittel der Politik bei. Ich finde es ausgesprochen widersprüchlich, sich als zivilisiert zu bezeichnen und immer noch die archaischste Form aller Mittel zur Konfliktlösung ohne ernsthafte Bedenken zu nutzen.
Gerade als Teilnehmer am Leistungskurs Geschichte möchte ich behaupten, dass Anlass und Wirkung eines Krieges nie in Zusammenhang zueinander standen. Dabei denke ich etwa an den Prager Fenstersturz, der zum 30-jährigen Krieg und dem Tod von über der Hälfte der Einwohner Deutschlands führte oder auch an die Ermordung von Prinz Ferdinand, die den 1. Weltkrieg auslösen sollte. Letztendlich mussten sich Soldaten, meist am jeweiligen politischen Konflikt unbeteiligt, auf Befehl von oben bekämpfen, während Herrscher, die eigentlichen Verursacher des Krieges, selten Schäden davontrugen.
Somit bin ich nicht gewillt, Anordnungen zu folgen, zu deren Ausführung ich kompromisslos verpflichtet bin. Dies beschränkt sich nicht allein auf den Militärdienst – im Allgemeinen möchte ich Entscheidungen aufgrund meines Wissens, meiner Erfahrungen und meines Gewissens selbstständig treffen. Schließlich bin ich in jedem Fall für die Konsequenzen meiner Taten verantwortlich, ganz gleichgültig in welchem Ausmaß.
Besonders deutlich wurde mir diese Problematik durch die Behandlung von Texten, die Wolfgang Borchert kurz nach Kriegsende verfasste. Vor allem in seinem Drama „Draußen vor der Tür“ wird eindringlich dargestellt, wie Beckmann, ein Soldat im 2. Weltkrieg, mit Selbstvorwürfen zu kämpfen hat, da Soldaten, für die er die Verantwortung von einem vorgesetzten Offizier bekommen hatte, getötet wurden. Es geht um Verantwortung, Schuld und wie man damit umgeht: Hat der Offizier keine Schuld, weil er die Verantwortung abgegeben hatte? Hat Beckmann keine Schuld, weil er treu einem Befehl gehorchte? Haben die feindlichen Soldaten keine Schuld, da sie wiederum auch nur nach Befehlen gehandelt haben? Man schiebt die Schuldfrage nur hin und her, ohne sich wirklich um eine Antwort zu bemühen, die es wahrscheinlich auch nicht gibt. Psychologische Probleme, die bis zum Suizid führen können, bestimmen nach dieser Darstellung das Leben der Soldaten nach ihrem Dienst.
Dies beschreibt meiner Meinung nach das Dilemma, in dem jeder Mensch mit einer Waffe in der Hand, ob „nur“ zur Übung oder im Einsatz, steckt: Die Benutzung einer Waffe dient letztendlich einem einzigen Zweck: Menschen zu töten. Dies kann in diesem Augenblick auf einen Befehl geschoben werden, später werden sich moralische Bedenken melden. Der Waffe ist es egal, weshalb sie benutzt wird, sie ist nur eine Maschine. Sie hat auch später keine Probleme mit ihrem Gewissen. Sie besitzt keines. Der Mensch schon.
Doch gibt es überhaupt einen gerechtfertigten Grund, dass Menschen einander töten oder auch nur mit der Anwendung von Gewalt drohen? Diese Fragen habe ich mir mehrfach gestellt und bin für mich persönlich zu einem klaren „Nein“ gelangt.
Darum bitte ich Sie, meinem Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stattzugeben.