Im Zugzwang

Monatelanges Chaos bei der Berliner S‑Bahn. Das fiel zu einem Großteil in die Zeit der Semesterferien, in der keine UnAufgefordert erscheint. Für die Oktober-Ausgabe gab es dann einen Artikel von mir. In letzter Minute recherchiert und geschrieben. Die Fassung, die sich in der Ausgabe findet, unterscheidet sich allerdings deutlich von dem, was ich geschrieben hatte: Ich hatte den Schwerpunkt auf den Umgang der Bahn mit den Studierenden gelegt, die Schlussredaktion stellte in den Vordergrund, wie man an die Rückzahlungen kommen kann. Hier gibt’s natürlich meine Version.

Im Zugzwang

Entschuldigen kann man das nicht, das ist eine Sauerei, was die machen.“ Jana* ist wütend: Seit Juli fahren die Berliner S‑Bahnen aufgrund von Sicherheitsmängeln nur noch stark eingeschränkt. Da Jana Mathematik und Philosophie an der Humboldt-Universität (HU) studiert, muss sie zwischen Mitte und Adlershof pendeln. Seit dem Beginn des S‑Bahn-Chaos im Juli ist das nicht mehr so einfach: „Früher habe ich von Ostbahnhof bis Adlershof dreißig Minuten gebraucht, jetzt ist es eine Stunde.“ Sie muss nun mehrfach umsteigen, in vollen U‑Bahnen und Bussen fahren. Im Juli hat sie von den Entschädigungszahlungen an Reisende mit Abokarten gehört und musste feststellen: Studierende sollen nicht entschädigt werden. Sie schrieb an die S‑Bahn und bekam als Antwort, dass es nicht möglich sei, die Zahlung für das Semesterticket auszusetzen.

Auch der Berliner Fahrgastverband (IGEB) kritisierte, wie mit den Studierende umgegangen wurde: Die Bahn würde die Studierenden als „Stammkunden zweiter Klasse“ diskriminieren. Denn als die S‑Bahnen ausfielen, war Prüfungszeit und einige Studierende mussten mit Taxis zu ihren Prüfungen fahren und kamen trotzdem zu spät. „Da war es besonders pervers, dass die Studierenden nicht in die Entschädigungen miteinbezogen worden waren“, so Christfried Tschepe, Vorsitzender des IGEB.

Der RefRat der HU und die Asten der anderen Berliner Hochschulen forderten im September gemeinsam den Erlass eines Monatsbeitrags. Dies verlangten sie auch für das Sozialticket und das Mobilitätsticket, deren Inhaber ebenfalls nicht entschädigt werden sollten. Ende September gab die S‑Bahn schließlich bekannt, dass sie den Forderungen nachkomme: Studierende der Universitäten in Berlin, Potsdam und Wildau fahren nun im Dezember kostenlos, Sozial- und Mobilitätstickets ebenfalls. „Das ist ein wichtiges Signal“, meint Tschepe.

Wir wissen, dass wir etwas falsch gemacht haben“, sagt Ingo Priegnitz, Pressesprecher der S‑Bahn. Die Zahlungen könnten auch keine Entschädigung für die Zugausfalle der vergangenen Monate  sein, er bezeichnet sie als „Geste der Entschuldigung“. Damit will die Bahn zeigen, dass sie die Entschuldigung ernst meint. Rund 26 Euro bekommen die Studierenden der HU nun beim nächsten Beitrag zum Semesterticket gutgeschrieben, das entspricht einem Sechstel des aktuellen Ticketpreises von 158,50 Euro. „Wir sind aber nicht nur am Geld interessiert, sondern wollen vor allem, dass bei der S‑Bahn alles funktioniert“, betont Tobias Florek vom ReferentInnenrat der HU. Den Freimonat sieht er deshalb nur als ersten Schritt.

Derzeit erwartet Christfried Tschepe für das beginnende Wintersemester an mehreren Uni-Standorten Probleme: Am S‑Bahnhof Griebnitzsee, wo sich Campus der Universität Potsdam und der Filmhochschule Babelsberg befinden, am Tiergarten, der von Studierenden der Technischen Universität genutzt wird und an den HU-Standorten Friedrichstraße, Hackescher Markt und Adlershof. Der naturwissenschaftliche Campus der HU ist besonders betroffen – die Linien S8 und S85 sind weiterhin gestrichen, die S9 und S46 fahren nur im 20-Minuten-Takt. Auch S‑Bahn-Sprecher Priegnitz erwartet volle Züge bei über 6.000 Studierenden und 1.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und rät, auf die Angebote der BVG umzusteigen. „Wir können keine Züge backen“, sagt er und weist darauf hin, dass nur Züge eingesetzt werden, die sicher sind: „Wir müssen das gemeinsam durchstehen.“

Inzwischen hat Jana genug: Sie steht morgens eine Stunde früher auf, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Sie muss jetzt deutlich längere Strecken zu Fuß zurücklegen, denn Fahrräder dürfen nicht mehr mitgenommen werden: „Ich habe miterlebt, wie Leute deswegen aus den Zügen geworfen worden sind.“ Und sie erwartet, dass in diesem Semester viele zu spät kommen werden, weil nicht genug Platz in den Zügen ist. Das alles schränkt ihr Leben ein und deswegen fordert sie anteilig die Beiträge für die Monate zurück, in denen die S‑Bahnen nicht so gefahren sind, wie sie es erwartet hat. Bis jetzt hat sie keine Antwort bekommen und lässt es auf eine Schadensersatzklage ankommen. Denn: „Warum soll ich mich mit 25 Euro zufrieden geben, wenn ich das Doppelte bekommen kann?“

* Auf Wunsch der Betroffenen ist der Name anonymisiert.

 

Pfeif auf die S‑Bahn – entdecke Berlin!

Nach Adlershof kommt man auch ohne S‑Bahnen: Man kann mit der U7 bis Rudow fahren und von dort den Bus 260 nehmen. Sehr schön ist auch die Fahrt mit den Straßenbahnlinien 60 und 61 durch die Altstadt Köpenick. Wie bei den Standorten im Stadtzentrum gibt es verschiedene Fahrmöglichkeiten ohne S‑Bahn. Den eigenen besten Fahrweg kann man auf www.bvg.de finden, bei den erweiterten Einstellungen muss dafür das Häkchen bei der S‑Bahn entfernt werden. Die verrücktesten Reiseberichte prämiert die UnAufgefordert mit einer Freifahrt im Dezember.

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