Michels Traum vom Fliegen

Nach “How to be a good Teacher” war dies bereits die zweite textliche Verballhornung meines Englisch-Leistungskurslehrers, was wahrscheinlich die einzige Möglichkeit war, den Unterricht ohne größere geistige Schäden zu überstehen. Das Unglaubliche dabei: Der Text basiert zum großen Teil auf wahren Begebenheiten, die nur in einen etwas… nun — abstrakten Rahmen gesetzt wurden.

Michels Traum vom Fliegen

Eine Allegorie

Es war ein wunderbarer Morgen: Vögel zwitscherten, Blätter rauschten leise, wenn sie vom Wind bewegt wurden. Inmitten dieser wunderbaren Frühlingslandschaft, in der die Sonne schon ihre ersten wärmenden Strahlen zur Erde sendete, wandelte Michel auf dem kleinen Trampelweg, der sich durch das mitunter dichte Laubwerk schlängelte.

Hier war der kleine Michel oft anzutreffen; einsam und verträumt bahnte er sich auch diesmal seinen Weg durch seinen kleinen „Urwald“. Während er „Free Electric Band“ vor sich her pfiff, ging er wieder einmal seinem geheimen Hobby nach: er betrieb Astronautentraining. Es war als große Überraschung für seine Eltern geplant, dass er eines Tages nach Hause kommt und wie selbstverständlich seinen Astronautenanzug in die Schmutzwäsche gibt. Bisher waren die Planungen niemandem aufgefallen, nur einmal fragte ihn sein Vater, ein einfacher Mann, der auf dem Feld arbeitete, wohin er denn mit dem Goldfischglas wolle. „Ich will für eine bessere Zukunft kämpfen, für uns alle. Und ich werde mutig dorthin vorstoßen, wo noch kein Mensch gewesen ist!“, antwortete er mit stolzgeschwellter Brust. Sein Vater zersauselte Michels Haare und meinte nur: „Mach dich aber nicht schmutzig, ja? Ach ja, und denk daran, den Fisch wieder zurückzufüllen.“ Doch der Fisch wurde zwei Monate später mit den Essensresten in den Abfluss gespült.

Nicht so Michels Traum: Anstatt in dem Abfluss der Kinderträume zu versickern, wuchs der Wunsch mit den Jahren nur noch mehr. Während er in der Grundschule jede Aufgabe auf Weltraum und Astronauten bezog, was bei den Lehrern für einige Belustigung sorgte, wurde es auf dem Gymnasium immer mehr zu einer Belastung für seine Umwelt. Als er dann beim Feueralarm den Direktor fragte, ob es nicht viel einfacher sei, bei einem Brand den Sauerstoff aus den Räumen abzusaugen, um dem Feuer die Quelle zu entziehen, platzte dem Schulleiter der Kragen. Den Wunsch, unter jeden Stuhl einen Raumanzug anzubringen, konnte er ja noch verstehen. Immerhin hatte Michel recht plausibel die Gefahren der schrumpfenden Atmosphäre erläutert. Doch nun reichte es ihm – Michel flog von der Lehranstalt und musste sich nun beruflich neu orientieren.

Beim Arbeitsamt lehnte die Bearbeiterin aber eine Beschäftigung als Astronauten-Trainer rigoros ab, wahrscheinlich hatte sie schlechte Erfahrung mit Trainern, dachte er nur. So blieb für ihn vorerst nur der Job als Buchhalter. Für ihn war dies allerdings kein großer Gegensatz, vielmehr gab es eine starke Ähnlichkeit zu Astronauten: So wie ein Buchhalter das Rückgrat der modernen Gesellschaft war, so war der Astronaut das Rückgrat der gesamten Raumfahrt. Da der Unterschied dann aber doch mehr als die unterschiedlichen Bezeichnungen war, begann er etwas herumzubasteln. Auf seinem PC verwendete er das Betriebssystem der NASA, das er zwar nicht bedienen konnte, aber dennoch beeindruckend wirkte. Außerdem versuchte er mit einem umgebauten Laserdrucker außerirdische Signale abzufangen. Doch musste er schließlich eingestehen, dass die von seinem „Research-Printer“ aufgefangenen ungewöhnlichen Signale eigentlich seine eigenen Gehirnströme darstellten Und schließlich besorgte er sich ein Head-Set, das zwar für einen Buchhalter völlig sinnlos war, aber genauso wie jenes aussah, mit dem sich auch die Astronauten verständigten. Doch damit nicht genug. Zu allem Überfluss brachte er die Kollegen an den Rand der Verzweiflung, indem er alle wichtigen Bordgeräusche lebensecht nachahmte. Zwischendurch ließ er den einen oder anderen Funkspruch durchkommen, übersetzte sie Wort für Wort, damit seine Kollegen sie auch verstehen konnten, oder sendete auch einen Piepston darüber, wenn der Inhalt streng geheim war.

Während all diese Tätigkeiten zwar störten, aber im Grunde nichts Ungewöhnliches bei Beamten allgemein und Buchhaltern im Besonderen waren, hatte er eine weitere, weitaus bedrohlichere Eigenschaft: Er druckte für sein Leben gern. Was im ersten Augenblick recht harmlos klingt (man denke nur an Geburtstagseinladungen, Hausaufgaben, selbstgemachte Poster, noch mehr Hausaufgaben, ganz persönliche Visitenkarten, ganz viele Hausaufgaben, usw., usa.,… ), entwickelte sich bei Michel im Laufe der Zeit zu einer regelrechten Obsession. So druckte er sich etwa die gesamte Windows-Hilfe aus, schnitt jedes einzelne Wort aus und klebte sie neu zusammen. Mystischerweise ergab sich dabei der Text des Alten Testaments, einzig „Herr“ musste durch „Microsoft“ ersetzt werden. Ansonsten verbrachte er seine Arbeitszeit nur damit, seine persönliche Post einzuscannen, die Dateigröße zu optimieren und an seine E‑Mail-Adresse zu schicken, damit seine gesamte Post an einem Platz liegt, von wo er sie ganz schnell löschen kann.

Seiner eigentlichen Arbeit kam er aber immer seltener und mit sinkendem Interesse nach und auch in seinem Privatleben tat sich nichts. Nein, das stimmt nicht ganz. Aber wir wissen nichts davon und hoffen, dass es dabei bleibt.

Und beim nächsten Mal in unserer Allegorien-Reihe: Britney isst eine Banane

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