Die perfekte Interpretation

Eine Art literarisches Sandsack-Boxen, wenn man so will: Äußerst seltsame Regeln und Anforderungen an Interpretationen ließen doch eine gewisse Wut gegen meine Deutschlehrerin in mir aufsteigen. Und da ich Interpretationen sowieso schon recht abgeneigt bin (und mich auch durch einen hervorragenden Text von Hans Magnus Enzensberger unterstützt fühle, bei dem ich allerdings vergessen habe, worum es darin eigentlich ging), ist dann dieser Text entstanden, der eigentlich auch schon als völlig normale Interpretation durchgehen würde. Und genau das ist das Kranke an Interpretationen…

Übrigens geht bei dieser Web-Darstellung leider verloren, dass sich die Zeilenangaben tatsächlich auf die entsprechenden Zeilen des Textes beziehen. Und bei der “feigen Sau” am Schluss handelt es sich um eine Anspielung auf “Zurück in die Zukunft”, weiß aber nicht mehr warum. Vielleicht hatte ich den Film kurz vorher gesehen…

Die perfekte Interpretation

Bei „Der perfekten Interpretation“ handelt es sich um eine Interpretation über „Die perfekte Interpretation“, die Anfang des 21. Jahrhunderts geschrieben wurde und somit zur Gegenwartsliteratur zählt. Diese literarische Epoche zeichnet sich vor allem durch Bezug zu aktuellen Ereignissen und einen für den gegenwärtigen Leser verständlicheren Stil aus. Der Text wurde vom Autor selbst verfasst, welcher einen eleganten Übergang von der Einleitung zum Hauptteil versucht.

Dieser gelingt allerdings nicht sehr geschickt, da der Hauptteil dieses interpretatorischen Textes mit dem Relativpronomen „dieser“ (Z. 6) eingeleitet wird. Da dies als zu starke Rückbeziehung dieses Hauptteils zur Einleitung nicht zulässig ist, kann der Leser nicht erkennen, wo sich dieser vorgeschriebene Schnitt zwischen Einleitung und Hauptteil befindet. Andererseits kann die ungewöhnlich häufige Wiederholung von diesem Pronomen „dieser“ in seinen verschiedenen Deklinationen (Z. 6–12) als ironische Kommentierung dieses Sachverhalts gewertet werden.

Den nächsten Textabschnitt möchte der Autor mit einer Alliteration anscheinend als aufregenden Absatz aufwerten (vgl. Z. 13–14), sodass dessen äußerst interessante Form als Kontrast zum völlig uninteressanten und aussagelosen Inhalt aufgefasst werden kann.

Wie ein Glashaus in Flammen erscheint der folgende Absatz, den der Verfasser mit einem „Glashaus in Flammen“ (Z.16) vergleicht. Dieser auf den ersten Blick völlig unverständliche Vergleich kann auch nach nochmaligem Lesen nicht entschlüsselt werden.

Doch beim dritten Lesen wird der sozialkritische und auch satirisch-chauvinistische Charakter der Metapher erkennbar. Das Glashaus steht hierbei für die durchsichtige und doch zugesperrte Welt, in der wir alle leben. Eine Welt, in der jeder Schritt beobachtet wird, jedes Steinewerfen Konsequenzen nach sich zieht. Eine Welt, die vorgibt, offen zu sein, aber in Wirklichkeit fest verschlossen ist, da im vorliegenden Text nie ein Schlüssel erwähnt wird. Und — das fragt der Autor nur indirekt – kann der Mensch in einer solchen Welt existieren, in einer künstlichen Welt, die mehr einem Versuchslabor gleicht? Und er gibt auch selbst die Antwort: „brennen“ soll dieses „Glashaus“. Dabei gibt der Autor die Schwierigkeiten zu, die sich aus der Befreiung aus der Unterdrückung ergeben, schließlich zeigt Feuer erst ab einigen tausend Grad Celsius eine Wirkung auf Glas. Doch diesen Widrigkeiten will sich der Verfasser stellen, er ist bereit für die Vernichtung seiner Welt, für die Zerstörung und den Blutfluss und natürlich für die bestialische Tötung all der Personen, die sich ihm in den Weg stellen. Im Zuge einer textimmanenten Interpretation sollten diese Gedanken im Bezug zur Tat von Erfurt gesehen werden. Da der Text einige Wochen davor entstanden ist, sollte mehr der vorhersagende Charakter der Metapher unterstrichen werden.

Den im Internet kursierenden Interpretationen, laut denen das „Glashaus in Flammen“ nur ein Beispiel für die gezielte Verwirrung des Lesers darstellt, muss entgegengehalten werden, dass sie nicht die perfekte Interpretation sind.

Nachdem sich der Autor fast abwertend über andere Vertreter der Gattung, welcher sein Text zuzuordnen ist, geäußert hat, fragt sich der Leser: Was kommt nun? Was erwartet mich? Welche Dinge werden mich jetzt überraschen? Welchen Sinn hat überhaupt dieses Stück Literatur? All diese Fragen hat der Verfasser geschickt in den Text eingearbeitet, und dieser Klimax lässt die Ungeduld des Lesers ins Unendliche wachsen. Einer solchen Übertreibung setzt der Autor bewusst ein einzelnes, völlig unerwartet stehendes Wort entgegen: „Nichts“ (Z. 41)

Abschließend kann ich feststellen, dass „Die perfekte Interpretation“ für mich zu den großartigsten und wohl einflussreichsten Werken der letzten 2000 und der kommenden 34 Jahren zählt. Vor allem die zurückhaltende, federleichte. differenzierte und doch so pointierte und mit ausschließlich notwendigen obszönen Ausdrücken (vgl. Z.1: „Interpretation“) versehene Sprache hat mich in meinem Glauben tief beeinflusst. Kritisch anmerken möchte ich allerdings, dass sich der Autor hinter einem Kürzel versteckt und somit eine feige Sau ist.

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