Deutsch als Waffe

Was ursprünglich lediglich auf den Zustand hinweisen sollte, dass sich in der Schülerzeitungsredaktion keine Schüler aus dem Leistungskurs Deutsch befanden, weitete sich zu einem großen Rundumschlag aus. Ähnlich wie in “Das Volk der Dichter-und-Denker-Auswendiglerner” wies ich auf all die Probleme hin, die mich besonders am Deutschunterricht ärgerten. Auch hier wieder ohne erkennbare Wirkung.

Und alles kurz vor den schriftlichen Abiprüfungen…

Deutsch als Waffe

Welt der Literatur statt Weltliteratur! 

Deutsch sollte als Unterrichtsfach eigentlich nicht so sehr ein Problem darstellen. Schließlich wird es seit der 1. Klasse unterrichtet und im Gegensatz zu anderen Fächern übt es selbst der unstrebsame Schüler auch noch in seiner Freizeit. Er tut also genau das, was jeder hoffende Lehrer erwartet. Dennoch ist bekannt, dass es trotz des unbewussten Fleißes nicht zu ständigen Bestleistungen kommt.

Ein großer Schlechte-Noten-Fänger (denn es kommt ja immer auf Zensuren an, nicht wahr?) natürlich: Diktat-Schreiben. Ein Verfahren, das eigentlich schon vor 60 Jahren hätte abgeschafft werden müssen, treibt den wissenden aber schlecht hörenden oder langsamen Schüler zur Verzweiflung. Und noch schlimmer sind dann die Lehrer, die es nicht schaffen, Sätze deutlich und vor allem jedes Mal mit gleichem Wortlaut vorzulesen. Man muss sich fragen, ob eine Vorleseprüfung für Lehrer nicht genauso sinnvoll wie ein Diktat wäre.

Auch sehr nett sind Erörterungen: Wer bitte schön schafft es, sich in 90 Minuten mit einem Sachverhalt angemessen auseinander zu setzen? Und was ist eigentlich wichtiger? Möglichst genau eine erwartete Struktur einhalten oder möglichst tiefgründig in eine Thematik eintauchen und originelle und unerwartete Erkenntnisse herausfischen? Eine längere Arbeitszeit mit greifbarer Literatur ist dann wohl das mindeste, das man verlangen kann. Ansonsten bleibt der Schüler mehr oder weniger oberflächlichem Denken verhaftet und könnte auch im späteren Leben kein Bedürfnis mehr in eigenständiger Informationssuche sehen. Sehr gut, züchten wir uns doch eine Generation folgsamer Bürger heran, die lediglich versuchen werden, an sie gestellte Erwartungen zu erfüllen.

Ebenfalls sehr nett ist die Behandlung literarischer Texte. Sind sie etwa krank? (Entschuldigung, der Kalauer musste einfach kommen) Aber mal ernsthaft: Nicht nur Reich-Ranicki, sondern auch der Unterricht beschäftigt sich offensichtlich ständig mit „Weltliteratur“. Wurde dieser Begriff eigentlich einmal entsprechend seiner Bedeutsamkeit geklärt? Also, ich musste nachschlagen: Laut Brockhaus ist dies „die Gesamtheit aller hervorragendsten Werke der Nationalliteraten aller Völker und Zeiten“.

Das macht die Sache schön einfach: Irgendjemand hat sich jedes Werk durchgelesen und die „hervorragendsten“ in den Rahmenplan Deutsch geschrieben. Und neben wirklich großartiger Literatur hat er aus einer Sektlaune heraus noch einige schlechte Werke mit aufgenommen, weil schließlich niemand ernsthaft ein belangloses Buch kritisiert, wenn es erst einmal Weltliteratur ist. Wobei mir überhaupt die Auswahlkriterien völlig unbekannt sind. „Urkomisch“ gehört offenbar nicht dazu, „schwer zu lesen“ scheint aber eine Begünstigung darzustellen. Trotzdem fehlen immer noch einige Bedienungsanleitungen in der Weltliteratur.

Schließlich scheint es seit dem 2. Weltkrieg kein einziges Wort Weltliteratur mehr gegeben zu haben, zumindest nicht in Deutschland. Sind deutsche Autoren zu blöd geworden? Ist alles Wichtige schon einmal geschrieben? Oder hat man schlicht Angst, im Deutschunterricht ein modernes Werk nicht nur als Ergänzung heranzunehmen? Buchvorstellungen durch Schüler grenzen schon direkt an Herabwürdigung ihrer Interessen: „Schön, dass ihr auch in eurer Freizeit lest, aber nun zu einem wichtigen Werk!“

Kann oder will man ein Interesse der Schüler an Literatur nicht verstehen? Ständig jahrhundertealte Theaterstücke zu lesen, was an sich schon unglaublich absurd ist, fördert vielleicht das Verständnis dieser guten, aber eben auch alten Literatur. Aber fördert es auch die Begeisterung am Lesen selbst?

Für den Otto-Normal-Schüler wird aus Lesen Zwang, wenn der Text trotz tiefgreifender Interpretation nicht allzu viel mit seinem täglichen Leben zu tun hat. Ein Lehrer mag immer wieder frohlockend auf die sprachlos-machende Wirkung von Stilmitteln in diesem und jenem Gedicht aufmerksam machen. Sprachlos ist der Schüler dann tatsächlich, was dann aber mehr mit dem Gähnen zusammenhängt. Hoch populär ist dagegen Comedy, die doch eigentlich eine moderne Form eines Gedichtsvortrages ist. Comedians benutzen doch wahrscheinlich auch Stilmittel, die zu den Lachanfällen der Zuschauer führen. Nur meine Vermutung, denn im Unterricht war bisher nichts darüber zu hören. Lediglich eine Universität verbindet ein Studium mit Ausschnitten aus der Harald-Schmidt-Show, um dadurch Satire verstehen zu können. Und wenn dies für den Deutschunterricht zu gewagt sein sollte: Warum nicht einmal Texte von Mitschülern oder aus der Schülerzeitung analysieren und interpretieren? Dann kann sich der Lehrer sicher sein, dass die Erkenntnisse nicht aus dem Internet stammen und der Schüler hat zur Abwechslung ein Stück unverbrauchte Literatur vor sich liegen.

Letztendlich sollte der gemeine Deutschlehrer nicht vergessen, dass er Literaturinteresse und Kreativität fördern soll. In unserer Redaktion befindet sich übrigens kein Teilnehmer der Deutsch-Leistungskurse…

Kommentar verfassen