Der Ideenjäger

Dies ist eine Hommage. Sie soll die schier wahnwitzige Kreativität würdigen, die in den Werken von Jasper Fforde steckt. Eine nachvollziehbare Inhaltsangabe der sogenannten BookWorld-Novels ist nicht so leicht, deshalb nur soviel: Die Protagonistin Thursday Next kann sich direkt in Bücher hinein bewegen und trägt dort zum Schutz der Werke bei. Dort gibt es außerdem den „Brunnen der Manuskripte“, in dem Ideen für Geschichten gehandelt und zusammen gestellt werden. Gewissermaßen eine konsequente Personifizierung von allem, was man so aus Büchern kennt. Und in dieser Welt spielt auch folgende Geschichte, die aber nicht einmal ansatzweise an das Vorbild heranreicht. Besorgt euch deshalb auf alle Fälle den „Fall Jane Eyre“, den ersten Roman der Reihe. Oder gleich „The Eyre Affair“, denn im Original kommen die englischen Wortspiele natürlich viel besser zur Geltung.

Der Ideenjäger

Zur Genealogie der Gedanken und der Genese eines Geschäftsmodells

Er pirschte sich vorsichtig heran, er beobachtete und lauschte, roch und schnüffelte – er war auf der Jagd nach Ideen, denn er war Ideenjäger.

Hörte er da Musik, eine Melodie? Die nutzte ihm nichts, denn was er brauchte, das war die Idee für eine Musik. Was er brauchte, waren die Dinge, die existieren, aber noch nicht da sind. Die Dinge, die nicht real sind und zugleich irgendwie vorhanden sind. Dort, wo sich das Werden und Nochnichtsein treffen, da ließen sie etwas entstehen – und dort ließ sich auch am besten Beute machen. Und dort waren sie auch am schwierigsten zu finden.

Es war später Nachmittag. Ein geübter Ideenjäger ging nie vorher auf die Suche, denn die meisten Ideen kommen erst später. Dann, wenn die Dunkelheit kommt, dann kommen auch die Ideen, mitunter auch die guten und die besten. Die sind am schwierigsten zu erwischen. Nicht etwa, weil sie so selten wären – gute Ideen gibt schließlich wie Sand am Meer. Einige Ideenjäger schwören deswegen darauf, einfach Sand vom Meer zu nehmen und es als gute Idee zu verkaufen. Wer schon länger im Ideengeschäft tätig ist, kann darüber nur lachen: Metaphern als letzte Wahrheit ansehen, welch ein Anfängerfehler! Nichtsdestotrotz gehen sie weg wie warme Semmeln.

Der Ideenjäger sah sich um. Da! Was war das? Zwei Menschen? Sie redeten miteinander… Womöglich konnte er die Geburt einer Idee erleben. Junge Ideen werden oft in der Nähe von Menschen geworfen. Noch nie wurde die Entstehung einer Idee fernab von Menschen beobachtet, doch dies könnte daran liegen, dass dann auch niemand dabei war, um dieses Phänomen miterleben zu können.Inzwischen hatte sich der Jäger den Menschen genähert, bei denen es sich offenbar um einen Mann und eine Frau handelte. Der Ideenjäger wurde misstrauisch und beobachtete sie genauer. Diesen Blick zwischen ihnen hatte er bereits tausendfach gesehen. Er verhieß oft, dass bald die guten Ideen nur so sprudeln würden. Eine trügerische Verheißung. Denn hier war etwas abzusehen, das in Fachkreisen als „Glühbirnen-Effekt“ bezeichnet wurde: Viel Energie wird aufgewendet, um letztlich nur für ein durchschnittliches Leuchten zu sorgen, dass außerdem noch erheblichen Schwankungen unterworfen ist. Meistens entsteht also heiße Luft, vielleicht die Wiederholungen abgestandener Ideen und bestenfalls werden alte Gedanken aufgefrischt. Nur unerfahrene Ideenjäger warteten hier auf einen guten Fang, aber er war Profi und suchte weiter.

Tatsächlich verfügen die besten Ideen über raffinierte Tricks, um nicht gefunden zu werden. So halten sie sich gerne in der Nähe der Jäger auf, umschwirren ihre Köpfe – und doch sind sie schnell genug weg, wenn man sie fasssen will. Es bereitet ihnen einen Höllenspaß, greifbar und doch nicht erreichbar zu sein. Andere Ideen lassen sich bereitwillig fangen und das sollte erfahrene Jäger stutzig machen. Wissen sie doch, dass es sich dabei nur um ahumane Ideen handeln kann: Großartige Gedanken, die von einleuchtender Eleganz nur so leuchten, aber beim direkten Kontakt mit Menschen zu einer erschreckenden Einfachheit zerfallen und damit nutzlos werden.

Die gewissenhafte Vorbereitung bildete das Fundament einer erfolgreichen Ideenjagd. Viele seiner Kollegen schwörten auf uralte Mittel, die der Legende nach von den ersten erjagten Ideen selbst stammen sollen. Die Jäger kratzten sich die Köpfe, tranken abends einen guten Wein oder türmten reihenweise leere Blätter um sich auf, um die Ideen anzulocken. Der erfahrene Jäger benötigte solche Hilfsmittel nicht, die entweder aus Aberglauben oder purer Verzweiflung angewandt wurden. Er spazierte einfach herum und versuchte nicht daran zu denken, dass er auf der Jagd war. Nur dumme Ideen werfen sich aufmerksamen Jägern an den Hals. Hintergründige Ideen fallen vor allem dadurch auf, dass sie nicht auffallen wollen. Als erfolgreicher Jäger muss man sich auf eine gedankliche Ebene mit den gewünschten Ideen begeben.

Die gewieftesten unter den besten Ideen wenden also eine Taktik an, die selbst die langjährigsten Ideenjäger täuschen kann: Sie verbergen ihren wahren Charakter und erscheinen entweder als völlig belanglose Gedanken, die mit ein paar ahnungslos arrangierten Alliterationen ihre angebliche Armseligkeit zu verdecken suchen. Oder sie wirken, als wären sie schon früher einmal da gewesen und betreten betont ausgelatschte Pfade. In beiden Fällen interessiert sich natürlich kaum ein Jäger für sie. Tatsächlich werden diese Art von Ideen meist nur von zwei Gruppen entdeckt: Auf der einen Seite wären da Blinde Hühner zu nennen, die immer wieder auf überaus überragende Ideen stoßen. Deren Professionalität muss jedoch angezweifelt werden, da sie prinzipiell alles für eine überaus überragende Idee halten, was sie vor ihre Schnäbel bekommen und finden Körner noch toller.

Auf der anderen Seite steht die Eliteklasse unter den Ideenjägern, die nicht nur eine große Erfahrung im täglichen Umgang mit großen und kleinen Ideen vorweisen kann, sondern auch interdisziplinär gebildet ist: Solche Jäger können philosophische Geistesblitze von physikalischen Kugelblitzen unterscheiden und teilen oft ganz natürlich eine Schätzung mathematischer Axiome. Sie wissen ganz genau, wann ein langer Bart unecht sind oder eine fröhliche Melodie nur der Tarnung dient. Denn diese Jäger haben einen sechsten Sinn dafür, wenn sie von einer guten Idee verarscht werden.

Heutzutage ist die Ideenjagd derart professionalisiert, dass es einen beständigen Zustrom eines kreativen Flusses geben könnte. Könnte – denn inzwischen hat sich eine neue Gefahr offenbart: Die Gedankengänge selbst sind bedroht. Es wird zusehends schwieriger, gute Ideen zu entdecken, ja, überhaupt irgendwelche Ideen aufzustöbern. Im Lärm lauter Musik ist feiner Klang kaum zu vernehmen, in kleinen Pamphleten finden sie wenig Platz und zwischen dickgedruckten Wörtern müssen sie ständig um ihre Existenz bangen. Beim Anblick flimmernder Bildschirme liegen sie gleich tausendfach darnieder, wenngleich es Exemplare gibt, die sich anpassen konnten. Am schlimmsten aber wiegen die platidüdinellen Infektionen, die sich immer weiter ausbreiten. Wer heute noch als Ideenjäger leben will, muss daher einige Ideale an den Nagel hängen und hart für seine Ideen arbeiten. Daneben sollte man auf die Macht der Zufälle vertrauen und dabei nicht vergessen einen einprägsamen Geschäftsnamen und eine passende Marktnische für die eigenen Ideen zu finden.

Der Ideenjäger hatte dies getan: Mit seinem Unternehmen „Die Ideen des März“ belieferte der Ideenjäger Helmut März seine frisch gefangenen Ideen vor allem an die Großhändler des Kreativmarktes. Hier schätzte man seine Ware, wenngleich er nicht mit den Preisen der Massenideenhaltung oder der Wirkmächtigkeit der Ideologen mithalten konnte, die meist mit hochgezüchtetem Gedankengut aufwarten konnten. Die Produkte der Konkurrenz ließen sich aber oft nicht kontrollieren oder waren einander zu ähnlich. März konnte sich daher als Anbieter beständiger und langlebiger Ideen einen Namen machen. Welchen, das wusste er noch nicht, aber würde sicherlich bei Gelegenheit eine Idee bekommen.

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